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Der Wächtergott

Beitrag von Chlodwig, am 08.01.2009
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Wie angedroht, hier die Story die die Zeit von Montag 8:00 Uhr bis Montag 9:30 abdeckt (als "Vorgeschichte" zu Geschichte 9883). Wir erinnern uns: Ich wurde in die Präsentierpanier gezwungen, um einem Kunden beim Installieren das Händchen zu halten. Ich erhielt von unserer Zentrale eine Fehlerbeschreibung folgender Qualität:

"Kunde kann nicht ins Internet, irgendwas mit dem Modem ist nicht ok."

Warum nicht gleich DAS INTERNET GEHT NICHT! hinschreiben...

Ich dackel also vorschriftsmäßig gekleidet (so nebenbei, mein Standardpulli und die fette Daunenjacke ist wärmer als die kundenorientierte Technikerverhüllung, entsprechend zitter ich mir einen ab) um 8:00 Uhr (was für sich schon 'ne Zumutung an den Techie ist) dorthin und verhandel mit dem Torwächter, Schlüsselmeister und Gott des Betriebes (zumindest nach Habitus) über die Bedingungen für meinen Einlaß in die heiligen Hallen. Um zu verstehen warum mich das dann doch eher wenig gefreut hat, ICH stand im Freien, in Temperaturen, die zu meinem Pinguinanzug durchaus gepaßt haben, der Wächtergott hinter einer dicken Doppelglasscheibe mit kleinem (und verschließbarem) Fenster zum Durchbrüllen.

I(ch): gu'n Tach, ich bin der $chlodwig von der Firma $unsere_drecksbude.
Gott vom Wachdienst (nachfolgend GvW): Jo und?
I (Pause): Jo, bitte um Einlaß, ich soll's Internet wieder heile machen, da is' was kaputt.
GvW: Do kenntat jo jeda kumman.

Sprach's und nahm sich das neben ihm stehende Telefon. Ich, überzeugt er ruft jetzt bei seinem Chef an um meine Story zu verifizieren, stehe mal eben dumm in der Gegend, friere vorschriftsmäßig und glotz ihn an. Als ein "naa, Mausi, heid kaun i ned friacha" (für die Nichtwiener, "nein Schatz, heute geht's nicht eher") durch die Glasscheibe vernehmen konnte schlichen sich mir dezente Zweifel ein, ob diese Annahme berechtigt ist. Nun mag ja sein, dass der doch etwas "festere" und rüstige Knabe da vor mir der Callboy vom Oberchef ist, ich hielt die Wahrscheinlichkeit allerdings für eher gering, entsprechend mache ich durch dezentes Hüsteln in das Sprechloch in der Scheibe auf mich aufmerksam (was, so nebenbei, wahrscheinlich ohnehin der Beginn einer handfesten Grippe wird). Als das geflissentlich ignoriert wurde klopfte ich deutlich weniger dezent gegen die Scheibe, was erhebliche Bewegung dahinter bedeutete. Erst glotzt er mich mit dem Gesicht des ertappten Kleinkinds das die Hand in der Keksdose hat an, dann mit dem Blick des genervten Wachhüttenkapitäns, der halt lieber mit seiner Alten telefonieren würde.

Das folgende Gespräch wurde (also, seinerseits) in perfektem Wiener Dialekt inklusive original Meidlinger-L geführt. Ich liefere die hochdeutsche Übersetzung, der geneigte Leser dem dieser Dialekt geläufig ist wird es sich problemlos vorstellen können. Der Rest stelle sich einen Prolo Marke extra-virgin vor.

GvW: Was machen Sie denn noch hier?
I: Ich will immer noch rein, ich bin hier von $firma und ich soll bei Ihnen was am Internet richten.
GvW: Und da haben wir einen Aufrag dafür?
I: Ich schon. (hervorkram und gegen die Scheibe drück, hoffentlich friert der Zettel nicht fest)
GvW (lehnt sich gegen die Scheibe um zu entziffern, lernt das Papier fünf Minuten lang auswendig und konstatiert): Diesen Käsezettel kann ja jeder ausdrucken.
I: Jo können wir vielleicht Ihren Chef mal anrufen und fragen? Der wird's vielleicht wissen.

Ich sehe das Widerstreben in seinem Gesicht, schließlich muß er seinem Mausi schon wieder lebewohl sagen nur um mit dem Chef... entsprechend höre ich

GvW: Jo mausi, ich ruf Dich gleich wieder an, da steht so ein Langhaariger vor der Tür und der will da was, ich ruf den Chef an.

Tat er dann auch. Sogar fast bald. Inzwischen, nur um das in einen zeitlichen Kontext zu bringen, friere ich mir hier schon fast eine Stunde lang die Schuhsohlen vor der Firma an.

GvW (steht auf. Steht der jetzt echt stramm? Es schaut wirklich so aus): Ja ... Herr $name, da steht so ein langhaariger Typ vor der Tür der will da rein, der meint Sie erwarten den... aha.
Dreht sich triumphierend zu mir um.
GvW: Der Herr $name weiß nix von Ihnen, also schleichen Sie sich jetzt oder ich hol die Polizei!

Ja nee. Echt. Der Oberguru von der Bude weiß nix von mir. Kann ich mir sogar recht gut vorstellen. Obergurus haben üblicherweise mit so kleinkrämerischen Tagesproblemen wie einem nichtfunktionierenden Internetanschluß wenig zu tun. Und wenn ich die Bude richtig einschätz hat's bis jetzt auch keiner gewagt ihm zu sagen was los ist.

Ich seufze kurz, grab mein Ohr aus der Pelzmütze und versuche mit Handschuhen unsere Zentrale zu wählen um 'ne Telefonnummer von der Bude zu bekommen. Ich bekomm sie und wähle. Und es meldet sich...

GvW: Guten Tag, $firma, $name...
I (seufz): Bitte Ihre IT-Abteilung.
GvW (sich zu mir umdrehend, ein sehr fieses Gesicht aufsetzend und auflegend).

Ich fühle mich an die Szene aus Herr der Ringe erinnert wo Gandalf vor dem Balrog steht und brüllt "DU KOMMST HIER NICHT VORBEI!" Mit dem Unterschied dass es dort sicherlich wärmer war als hier.

Aber wir erinnern uns wie die Szene ausging, ja?

Ich also nochmal die Firma angerufen, dem Kollegen dort die Situation erklärt und ihn gebeten die Computerjungs hier anzurufen. Ich stehe rum und guck mir den Wächtergott an, der gelegentlich hektisch auf die Telefonanlage eindrischt und merklich ungehaltener wird. Nach meiner Rückkehr habe ich dann erfahren warum, und warum da so viel Zeit draufging. Der Kollege rief an und hatte ähnliche Probleme dabei, an dieser Ein-Mann-Armee vorbeizukommen. Er konnte aber dann durch entsprechend kreative Verwendung von Google eine Durchwahl der Firma rausfinden (guter Mann!), hat sich auf diese Art am Wächtergott vorbeigeschwindelt und sich von dort dann zu den Computerleuten verbinden lassen.

Und von diesen edlen, tugendhaften Helden kam schließlich einer um mich aus meiner Gefrierhölle zu erlösen.

Beim Zurückgehen in die wärmeren Gefilde des Gebäudes erklärte ich die Situation und warum ich nun mit doch erheblicher Verspätung auftauche und erfuhr, dass der Wächtergott dort insgesamt nicht so zu den beliebtesten Mitarbeitern zählt, und er sich schon die eine oder andere "Aussperrung" geleistet hat. Jedenfalls war man durchaus sehr interessiert zu erfahren, dass die Schießbudenfigur den Telefonanschluß der Firma gerne für Telefonate mit Mausi verwendet.

Und irgendwie hab ich's im Gefühl, er wird schon recht bald "friacha kennan"...


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