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Sind sie der Besitzer?

Beitrag von Thinkpad, am 10.02.2011
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Dieses Ereignis hat sich vor etwas längerer Zeit abgespielt und hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Geschichte kam mir heute wieder ins Gedächtnis, da die letzte Rate vom Kunden gestern bezahlt wurde.

Zur Story:
Ägypten war noch heile und unser Laden war gerade neu eingerichtet und bereit, seinen Dienst am Volke zu verrichten. Im Geschäft duftete es, wie in einem neuen Sportwagen, als ein junger Anzugträger den Laden betrat und mit seinen glänzenden Lederschuhen den jungfräulichen Boden entweihte.

Noch ahnte ich nicht, wie mein erstes Kundengespräch mit einem Anzugträger verlaufen würde. Hätte ich es nur ansatzweise geahnt, würde ich rückblickend sofort einen Urlaubsantrag stellen, mit gleichzeitiger Krankschreibung, um auf Nummer sicher zu gehen.

Anzugtyp = A
Thinkpad = T

T *noch voller Vorfreude*: Guten Tag, wie darf ich ihnen weiterhelfen?
A *monoton*: Mein Notebook ist kaputt, reparieren sie es zügig
T *Freude zur Hälfte weg*: Was genau ist denn daran defekt? Kann ich es mal sehen?
A *Überreicht mir seine Tasche*: Zeigt kein Bild, sie wissen doch wie man das hinkriegt *Sein Handy klingelt*

Während ich sein Notebook aus der Tasche nehme, um es zu untersuchen, bekomme ich natürlich das komplette Gespräch mit, welches der Herr vor mir führt.

Kennt ihr Personen die gefühlte 80 Prozent lauter sprechen, wenn sie telefonieren?

Ein kleiner Auszug aus diesem Telefonat:
A: ...ne, bin hier in diesem neuen Laden für Geräte und so... ...Ja, der soll das bloß richtig reparieren... ...Ne ich komm gleich wieder, ja, ich, was? Geil, ja okay, ich komm sofort... *Beendet das Gespräch und wendet sich zu mir*

A *eilig*: So was stimmt damit nicht?
T *Freude schon lange fort*: Das kann an vielen Dingen liegen. Ich denke hier wird es entweder... *werde unterbrochen*
A *genervt*: Ja, komm ich brauch hier kein Suaheli, kann man das reparieren?
T *Meine Freude hat seine Koffer gepackt und ist zu seiner Mutter gezogen*: Das kann ich augenscheinlich noch nicht sagen. Trat dieser Fehler sofort auf oder zeigte er noch eine Fehlermeldung?
A: Woher soll ich das wissen?! Weißte was?! Wir machen das so! Ich muss jetzt weg und sie reparieren das Ding!
T: In diesem Fall muss ich einen Kostenvoranschlag für die Reparatur von ihnen nehmen, dass wären dann 30 Euro *Ein fairer Preis*
A *kramt in seinem Portemonnaie*: So, hier sind 20 Euro, dass muss erst mal reichen. Der Fehler wird ja nicht so teuer sein.
T: Tut mir Leid, es sind leider 30 Euro, die ich für den Voranschlag benötige.
A *zähneknirschend*: Ma, ja hier noch ein Zehner, dafür ist das Ding aber morgen spätestens heile.
T *Meine Freude hat mir einen Brief geschrieben, er bleibt länger bei seiner Mama*: Das kann ich ihnen nicht versprechen, ich tue mein Bestes.
A *sein Gemüt verdunkelt sich*: Sind sie hier der Besitzer des Ladens?
T: Nein, ich bin der leitende Angestellte. Mein Chef ist der Besitzer.
A: Ja dann mach das ordentlich. Sonst wende ich mich an deinen Chef, und das ist bestimmt nicht so gut, wenn du denn irgendwann mal BESITZER sein willst *will den Laden verlassen*
T *Ob meine Freude jemals wiederkehrt?*: Moment, ich muss die Annahme ihrer Reparatur noch einbuchen und ihnen die Bestätigung des Auftrags geben
A: Quatsch, ich muss los, Geld haben sie, also bis morgen, Tschüss!
T: Moment bitte! Hallo! *mit dem Armen winke*
A *verlässt fast fluchtartig den Laden*

Ich fand den Fehler ziemlich schnell: Displaykabel hatten sich gelöst. Eingesteckt, alles funktioniert. Notebook testweise hochgefahren, Desktop zeigt eine Sammlung von Ordnern, darunter der übliche Schund: Pornos, Videos von Kino.to usw.

Im ersten Moment dachte ich wirklich darüber nach, das Gerät einfach nur instand zu setzen, aber es sollte alles anders kommen.

Der nächste Tag:
Der Kunde kam nicht, habe auch keine Telefonnummer.

Der übernächste Tag:
Immer noch kein Kunde , merkwürdig.

Eine knappe Woche später:
Ein junger Mann betritt das Geschäft

Junger Mann = M
Thinkpad = T

M: Ja hallo, mein Kollege hat hier sein Notebook abgegeben, wegen Reparatur und so. Der will das jetzt wieder haben
T: Schönen guten Tag. Ich kann ihnen das Notebook leider nicht mitgeben, weil ich es nur dem Besitzer geben darf. Haben sie die Rechnung des Notebooks eventuell mit?
M *genervt*: Nein, ja komm! Mach mal eine Ausnahme, der kann jetzt gerade nicht hier hin.
T: Tut mir Leid, aber ich werde ihnen das Notebook nicht geben.
M *kramt sein Handy raus*: Ja, hier ich bin es. Bin im Laden, wo du dein Notebook abgegeben hast, aber der will das nicht raus rücken... ...ja keine Ahnung, weil ich wohl nicht der Besitzer bin... ...ja du hast mir aber auch keine Rechnung gegeben... ...ja ich gib dir den... *hält mir das Handy hin*

T *Meine Freude ist wieder da*: Schönen guten Tag, wie kann ich ihnen weiterhelfen?
A: Kannst du meinem Kollegen sofort MEIN Notebook mitgeben!?
T: Tut mir Leid, ohne Dokumente die auf den BESITZER schließen lassen, werde ich diesbezüglich nichts unternehmen
A: Ey Mann! Ich war bei dir. Jetzt gib das raus! Das kann doch nicht angehen! Ich bin in "Nahe Stadt" und kann gerade nicht, also mach mal keinen Scheiß
T *Meine Freude ist definitiv wieder da*: Tut mir Leid, keine Rechnung, kein Gerät. Einen angenehmen Tag wünsche ich ihnen.
A *richtig sauer*: Das kann doch nicht...*klick*

Ich wende mich zum jungen Mann und gebe ihm sein Handy zurück.

T: Bitte sehr. Tut mir wirklich Leid. *Tut es mir eigentlich nicht*
M: Ja dann muss der selber hierhin kommen. Naja, auf Wiedersehen.
T: Schönen Tag noch.

Ich muss zugeben, ich war irgendwie erfreut darüber, dass der Herr seinen Willen nicht bekam. Das passierte wohl zum ersten Mal in seinem Leben, aber ich wusste ja, dass er dann irgendwann selbst im Laden stehen würde. Und so wunderte ich mich auch nicht, als er dann eine knappe Woche später im Laden stand.

A *direkt wütend*: Mein Notebook will ich wieder, ist das vernünftig repariert!?
T *freundlich wie immer*: Guten Tag, ja das besagte Notebook ist repariert und erfreut sich vollster Funktion. Haben sie eine Rechnung, mit der sie sich als BESITZER ausweisen können?
A *richtig sauer, rot im Gesicht*: Nein hab ich nicht, gib es einfach her! War es ein geringfügiger Fehler?! Bekomme ich noch Geld zurück?!
T: Tut mir Leid, ohne eine Rechnung kann ich sie leider nicht als BESITZER identifizieren. Und eine ordentliche Reparaturannahme lehnten sie ja ab.

Lange Rede, kurzer Sinn. Er bekam das Notebook natürlich nicht. Er beschimpfte mich noch einige Male und verließ wutentbrannt das Geschäft. Es vergingen einige Wochen und ich glaubte schon nicht mehr daran, aber ich bekam einen Briefumschlag per Post von ihm. In der Post war eine Kopie der Rechnung mit seinem Namen, seiner Adresse sowie Telefonnummer und der Mitteilung, es ihm kostenfrei zuzuschicken, sonst würde er die Sache seinem Anwalt weiterleiten.
Ich wählte seine Telefonnummer und teilte ihm freudig mit, dass er den Versand zu tragen habe und ich es gerne per Nachnahme versenden kann. Bei Erwähnung der Rechnung wurde er gleich ausfallend und beschimpfte mich.
Zitat: "100 Euro!!! Du spinnst doch"

Rechnung:
10 Euro Reparatur
+ 120 Euro Lagerkosten für sechs Wochen (das Gerät lag 8 Wochen bei uns, aber die ersten beiden Wochen sind gratis)
- 30 Euro Kostenvoranschlag
= 100 Euro

Ich bat ihn darum, sich mit der Bezahlung zu beeilen, da ich sonst noch die siebte Woche in Rechnung stelle und siehe da, es wirkt.

Zwei Tage später kam er in den Laden und bat mich kleinlaut den Betrag zu senken, er hätte im Moment nicht so viel Geld und die ganze Sache würde ihm Leid tun. Ich erwähnte ihm gegenüber die Beschimpfungen gegen mich und teilte ihm mit, dass er froh sein könne, dass ich ihn nicht anzeigen werde, da ich den Großteil der Beleidigungen auf Video habe! (Geschäft ist Videoüberwacht mit Audioaufnahme. Kleines Schild am Eingang und auf dem Tresen weisen darauf hin)

Wir einigten uns auf eine Ratenzahlung und ich ließ mir dies absegnen mit seiner Unterschrift.



Daraufhin erhielt er sein Notebook.


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