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Kühlpflichtiges Beweismaterial

Beitrag von Yoeto, am 03.09.2006
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DAUs stecken ja bekanntlich überall. Meist blockieren sie nur sich selbst oder gehen ihrem näheren Umfeld auf die Nerven. Es gibt aber auch DAUs, deren Dummheiten über das ganze Land verteilt werden. Und von so einem handelt diese Geschichte: Dieses Exemplar sitzt irgendwo und programmiert die Geräte, die Käsestücke in Päckchen verpacken, wiegen und ein Etikett mit Gewicht und Preis draufkleben.

Es war vor einigen Jahren, als Yoeto bei einer bekannten Discount-Kette eines dieser vakuumverpackten Päckchen erstand. Als Gewicht war 400 Gramm angegeben; das sollte reichen für das geplante Abendessen. Zuhause angekommen und die Einkäufe ausgepackt, meint die beste Mitbewohnerin der Welt, dass das Päckchen ja wohl etwas groß ist für das kleine Stück Käse, das drin steckt. Tatsächlich war die Tüte doppelt so groß wie nötig - oder eben der Käse halb so groß wie geplant.

Also die Briefwaage aus dem Schrank geholt und den Käse nachgewogen. Das Ergebnis: Der Käse wiegt nicht mal 200 Gramm! Ziemlich angepißt (immerhin wäre das unser Abendessen gewesen!) entschließen wir uns, das Päckchen am darauffolgenden Tag ungeöffnet zum Wirtschaftskontrolldienst zu bringen. Der war in der örtlichen Polizeidienststelle untergebracht, und um da reinzukommen, mussten wir den Käse an der Pforte abgeben. Da wurde das Päckchen dann durch ein Röntgengerät geschoben, um sicherzustellen, dass sich keine Waffen darin befinden. Außerdem musste ich unterschreiben, dass es sich garantiert um ein Stück Käse handelt. Nach Hinterlegung meines Personalausweises durfte ich dann rein und die Anzeige aufgeben, um eine halbe Stunde später ohne Käse, aber mit Quittung für Käse das Gebäude zu verlassen.

Drei Tage später kam ein Anruf vom stellvertretenden Chef der Deutschland-Zentrale des Discounters: Man entschuldige sich vielmals für den Irrtum und wolle sich persönlich nochmals entschuldigen, dass so etwas vorkommen kann, und man werde dem Fehler nachgehen und die entsprechenden Leute zur Rechenschaft ziehen, und es tut ja sehr leid und so weiter und so fort.

Zehn Minuten später klingelt das Telefon: Der Marktleiter meiner Filiale ist dran und ist etwas stinkig, dass ich mit dem falsch beschrifteten Käse gleich zur Polizei gegangen bin statt mich bei ihm zu melden. Er gesteht mir immerhin zu, dass das ja mein Recht sei und dass der Fehler auf ihrer Seite liegt. Dann lädt er mich in sein Büro ein für die darauffolgende Woche, wo er sich direkt noch einmal entschuldigen will.

Also, ich bin kein Unmensch, gehe ich zum vereinbarten Termin noch mal hin. Die Frau an der Kasse ist informiert und versichert mir, wie peinlich es ihr doch ist, dass der Käse keine 400 Gramm wog. Dann ruft sie telefonisch die Kollegin, die mich unter Entschuldigungen ins Büro des Chefs führt. Es fängt an, mir auf den Keks zu gehen, aber ich bin ja - wie gesagt - kein Unmensch... Ist euch übrigens schon mal aufgefallen, dass die Marktleiter immer, auch wenn ihr Markt nur zwei Mitarbeiter hat, in Anzug und Krawatte herumlaufen? Nun, er war nicht der einzige Schlipsträger im Büro: Auch der Deutschlandchef der Kette (!) war anwesend. Beide versicherten mir nun, wie peinlich ihnen die ganze Angelegenheit sei, und zur Wiedergutmachung überreichen sie mir eine Flasche Sekt, "richtig guten, nicht aus unserem Sortiment, hehehe". Arschloch. Dann begleiten sie mich zur Kühltruhe, wo sie mir ein 400-Gramm-Stück Käse überreichen und das extra noch einmal auf einer Waage abwiegen. Zum Schluß geht die Prozession aus Marktleiter, Ober-Chef, einem zur Dekoration hinzugerufenen Azubi und mir zur Kasse. Die Kassiererin kriegt große Augen, als der Marktleiter die anderen Kunden bittet, zur Seite zu gehen und uns durchzulassen. Daran könnte ich mich echt gewöhnen! Anschließend helfen sie mir, das Zeug in meinem Rucksack zu verstauen, und begleiten mich zu meinem alten Fahrrad. Während ich das Bügelschloß löse, hält mir der zufällig anwesende Deutschlandchef einer bekannten Discounter-Kette den Rucksack. Im Regen. Ich fühle mich wie der Kaiser von China und nehme mir vor, in Zukunft alles abzuwiegen, was ich kaufe.

Zwei Wochen später kommt ein Brief der Staatsanwaltschaft, mit der Mitteilung, dass nun Anklage erhoben worden sei, und dass mein Stück Käse mit einem Polizeikühltransport zur Generalbundesanwaltschaft nach Karlsruhe geschafft worden sei. Hallo!? Natürlich komme ich mir veräppelt vor. Also rufe ich bei der Staatsanwaltschaft an. Die bestätigen mir die Echtheit des Briefs und verstehen gar nicht, was ich daran komisch finde, 200 Gramm Käse unter Polizeischutz quer durch Deutschland zu fahren. Für alles weitere solle ich aber in Karlsruhe anrufen, man habe den Fall wegen der zu erwartenden Ausmaße abgegeben.

Kurz darauf kommt ein Schreiben der Deutschlandzentrale des Discounters mit erneuten Beileidsbekundungen und der (leicht vorwurfsvollen) Information, dass Anklage erhoben worden sei. Ich überlege noch, ob ich fragen soll, was sie mir bieten, wenn ich *nicht* die Bild-Zeitung einschalte. Aber ich bin ja, wie bereits mehrfach gesagt, kein Unmensch. Außerdem tun mir die netten Leute vom Supermarkt schon fast leid, sie haben jetzt sicher genug Ärger. Ich mache ja auch mal Fehler.

Zwei Wochen später kommt ein Schreiben eines Labors in der Nähe von Freiburg, wohin mein Käse mittlerweile (per Kühltransport) gebracht wurde, um das Gewicht genau und fehlerfrei und beglaubigt durch einen eingetragenen Gutachter feststellen zu lassen. Mit dem Messergebnis: Der Käse wiegt 183,4 Gramm und ist damit 216,6 Gramm unter dem angegebenen Gewicht und damit um 216,1 Gramm leichter als er - mit Toleranz - sein dürfte. Man werde das Beweismaterial nun wieder gekühlt zurückschicken.

Ein halbes Jahr später, ich habe die Angelegenheit schon fast vergessen, kommt noch ein Schreiben von der Justiz: Die Discounters wurden wegen Betrug und noch ein paar anderen Sachen abgewatscht und müssen eine Geldstrafe von 50.000 DM zahlen. Autsch! Und das nur wegen meinem Käse!

Kurz darauf kommt auch so sicher wie das Amen der Kirche das Schreiben von der Deutschlandzentrale mit erneuten Entschuldigungsbekundungen und der Erklärung, ja, man habe einen Fehler gemacht und bedaure es zutiefst und nehme die Strafe an. Außerdem habe man in allen Filialen die Waagen neu kalibrieren lassen und ein neues System bestellt, damit solche Pannen nicht wieder vorkommen.

Ich komme mir mittlerweile echt vor wie in einem schlechten Slapstick: Da wird ein Riesen-Behördenapparat in Bewegung gesetzt, ein Unternehmen bezahlt mehr als mein Jahresgehalt an Strafe und gibt Unsummen für bessere Waagen aus - und das wegen einem dummen Stück Käse?

Damit wäre die Geschichte schon fast abgeschlossen, wäre nicht wenig später noch ein Anruf gekommen: Der Käse sei von Karlsruhe per Polizeitransport wieder zu meiner Polizeidienststelle geschickt worden, wo ich ihn gegen Vorlage der Quittung von damals wieder abholen kann. Auf meine Frage hin, ob der Käse denn überhaupt noch genießbar sei, ist der Polizist fast persönlich beleidigt: Der Käse hätte einer ununterbrochenen Kühlkette unterlegen, die genau protokolliert wurde, und ich könne das Protokoll ja einsehen. Immerhin handele es sich um "kühlpflichtiges Beweismaterial"!

Auf meine Einwendung hin, er könne den Käse selbst essen oder wegwerfen, ich hätte Ersatz bekommen, belehrt er mich, ich müsse den Käse abholen, das sei Vorschrift. Wenn ich versuchen wollte, ihm den Käse zu schenken, müsse er gegen mich wegen des Verdachts der Korruption ermitteln. Ich wende ein, dass ich eher gegen das Abfallbeseitigungsgesetz verstoße, worauf er meint, das sei ja noch schlimmer, denn da seien die Strafen möglicherweise noch höher. Allenfalls könne ich eine Eigentumsverzichtserklärung abgeben, wodurch die 183,4 Gramm Käse in Staatseigentum übergingen und versteigert würden.

Das scheint mir dann doch etwas zu absurd, und so hole ich den Käse am nächsten Tag - gegen Unterschrift! - ab. Der Kollege am Empfang feixt schon, die Geschichte ging im Revier rum. Man erklärt mir auch noch, dass der Käse garantiert ununterbrochen gekühlt wurde. Ich danke noch herzlich für die liebevolle Pflege meines Essens und verabschiede mich. Am Abend öffnen wir die Packung Käse dann feierlich und machen uns über den weit gereisten dauergekühlten teuren Käse her. Machen wir es kurz: Der Käse war steinhart und ziemlich ungenießbar, ich bin versucht, ihn wegzuwerfen. Aber ich bin ja kein Unmensch.


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