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Trauerspiel in drei Akten

Beitrag von Lissy, am 05.08.2014
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Prolog

Anfang dieses Jahrhunderts wurde ich mit der Aufgabe betraut, eine Anwendung von Win3.11 auf Win2000/XP zu portieren - sprich: eigentlich komplett neu zu stricken.

Die Anwendung diente dazu, Daten von der Festplatte zu laden und zwischen einem PC und 3 S5-SPSen auszutauschen, welche Ihreseits mit der Steuerung einer Anlage betraut waren. Dabei fand ein H1-Bus Anwendung (Bus-Typ im Automatisierungsbereich), weswegen der alte PC - ein antiker 386er (Ihr habt richtig gelesen!) - mit einer extra dafür ausgelegten H1-ISA-Karte ausgerüstet war.

Unglaublich aber wahr: Dieser 386er wäre wohl immer noch im Einsatz, wenn die Festplatte nicht langsam Anzeichen von Altersschwäche gezeigt und um ihre Versetzung in den Ruhestand gebeten hätte!

Und Gerüchten zufolge soll selbst heute noch irgendwo bei uns im Werk solch ein antiker 386er seinen Dienst tun - wie der inzwischen aussieht, möchte ich lieber nicht wissen...

Die Ansteuerung der Karte erfolgte mittels Interrupt-Aufrufen. Problem: Win3.11 lief im Protected Mode (PM) und die Interrupts der Karte mußten im Real Mode (RM) aufgerufen werden.

(Einer der Hauptunterschiede zwischen PM und RM ist die Adressierung des Arbeitsspeichers, weshalb PM-Software nicht so ohne weiteres RM-Routinen aufrufen kann, sonst würds krachen...)

1. Akt:

Für solche Fälle gibt es eine Lösung namens DPMI (= Dos Protected Mode Interface, wens interessiert: einfach mal nach "dpmi referenz" googeln), so daß es ein Einfaches gewesen wäre, die Karte auch von Win3.11 aus anzuquatschen.

Da dem ursprünglichen Entwickler aber sowas wie ein DPMI offensichtlich unbekannt war, lief die Datenübertragung wie folgt ab:
- Die Daten wurden zusammen mit einem entsprechenden Kommandocode in die Zwischenablage übertragen
- Ein DOS-Programm, welches irgendwie parallel zu Win3.x lief, holte die Daten ab,
- steuerte die Karte über den Interrupt gemäß des Kommandocodes an
- und legte das Ergebnis wieder samt Rückgabecode in der Zwischenablage ab
- Das Win3.11 Programm holte dann das Ergebnis wieder aus der Zwischenablage und fuhr mit seiner Arbeit fort.

Warum einfach, wenns auch umständlich geht, gelle?

2. Akt

Daß diese "Übertragungsart" nicht der schnellsten eine war, wurde den Bedienern spätestens dann klar, als der alte Win3.11-Rechner in Rente geschickt wurde und durch komplett neue Hardware (inclusive H1-Karte, diesmal PCI) plus meinem in C++ verfaßten Meisterwerk ersetzt wurde (O-Ton: "Schon übertragen? Hui, der neue Rechner ist aber schnell...!").

Und mein Proggie lief und lief und lief und lief...

...dann sollte ich es auf einen anderen Rechner übertragen: Einen hohen 19-Zoll-Compi, welcher es sich zusammen mit drei anderen "Hutschachteln" (die flachen Varianten werden von uns liebevoll "Pizzaschachteln" genannt) in einem passenden Rack gemütlich gemacht hatte. Dieses Rack sollte dann in einem abgeschlossenen (aber entsprechend klimatisierten) Raum stehen, mit via KVM-Extender in den Bedienerraum hinübergeführten Anschlüssen für Monitor, Maus und Tastatur.

Na gut, dachte ich mir - aber wenn der neue Rechner woanders stehen soll... vielleicht sollte ich doch erstmal anläuten, ob die Verkabelung schon fertig ist, bevor ich mit meinem Schlepptot vielleicht vergeblich 'rübertapere.

"Jawohl, Frau Lissy, alle Kabel sind da, Sie können das Programm übertragen und testen." meinte mein Kontaktmann an der Anlage - und gutgläubig wich ich war, machte ich mich samt Schleppi auf den Weg. Vor Ort angekommen, stellte ich fest, daß die Verkabelung tatsächlich schon komplett war...

... mit einer Ausnahme: Weit und breit war kein H1-Kabel zu sehen - und ohne dieses Kabel keine Datenübertragung von/zu den SPSen!

Oops!?!

Nachdem ich meinen Kontaktmann darauf hingewiesen hatte, machte ich mich "bester" Laune wieder auf den Rückweg. Es sollte dann noch 2 Wochen dauern, bis mein Proggie endlich auf der Hutschachtel (diesmal ein XP-Rechner) lief.

Wundert es da noch irgend jemanden, daß diese Hutschachteln nicht im Firmennetz hängen, weil mein Kontaktmann an der Anlage sich keinen Virus auf selbige holen möchte?

3. Akt

Auf den oben erwähnten Hutschachteln war jeweils - dank des OnBoard RAID-Controllers - eine Plattenspiegelung (= RAID1-Verbund) eingerichtet. Dummerweise erwies sich der RAID-Controller als wenig pflegeleicht, so daß das RAID immer mal wieder "platzte" und plötzlich anstatt des RAID-Verbundes zwei separate Festplatten angezeigt wurden.

Die Lösung: Neue RAID-Controller mußten her (Software-RAID war keine Option)! Gesagt, getan... also wurde für die 4 Hutschachteln folgendes angeschafft:
- 4 SATA RAID Controller
- 12 250GB Festplatten, geeignet für Dauerbetrieb

Man wollte also allen vier Hutschachteln ein flottes RAID5 verpassen lassen. Die Ware wurde zügig bestellt und auch ebenso flott zu mir ins Büro geliefert.

Das war vor über sechs Jahren.

Die Kiste mit den Festplatten und den RAID-Controllern steht heute noch bei mir im Büro.

Alle Teile neuwertig und unbenutzt.

Vor vier Jahren habe ich es dann aufgegeben, meinen Kontaktmann an der Anlage um ein Zeitfenster zur Installation und Einrichtung zu bitten. "Ja, wir melden uns, wenn Sie loslegen können!" - und jedesmal das Gleiche: Kein Anruf, keine Mail, keine Nachricht, daß ich loslegen kann.

Epilog

Kürzlich habe ich nun eher so am Rande mitbekommen, daß die Hutschachteln außer Betrieb genommen werden sollen...

Braucht eigentlich irgend jemand 4 SATA-RAID-Controller (Windows7/8/8.1/2008 Kompatibilität unbekannt) und/oder 12 250er SATA-Platten für 24/7-Betrieb? *Achtung!Ironie!*



Rechschreibfehler und Sternchen sind pure Absicht; wer welche findet, darf sie behalten...



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