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Strandträume

Beitrag von Dream, am 09.06.2010
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Kennt ihr das auch? Projekte, die in wenigen Stunden fertig sein müssen, unbedingt? Und deren fristgerechte Fertigstellung (unter Strafandrohung) eine Nachtschicht erfordert? Wenn ja, mein Beileid.

Wieder eine chronologische Schilderung:

19:23 Uhr: Die Salami-Pizza vom Pizzadienst war lecker, die Kaffeemaschine und die Hirne der Entwickler auf Betriebstemperatur gebracht und der Vorrat an Energydrinks umgekehrt proportional zum Status des Projekts. Oder simpel formuliert: Energydrinks = viele, Projektstatus = nicht mal ansatzweise fertig.

19:46 Uhr: Neben der Kaffeemaschine und den Hirnen glühen jetzt auch die Finger und Tasten. Kurze Abkühlung verspricht die erste Redbull-Dose frisch aus dem Kühlschrank (danke an die Geschäftsführung für dieses Wunderwerk der Technik!)

20:51 Uhr: Wenn wir das Tempo beibehalten sollten wir es sogar noch schaffen zwischen der Fertigstellung und der Präsentation eine Stunde zu schlafen. Im wahrsten Sinne des Wortes: TRAUMhaft!

23:48 Uhr: Die fünfte Dose Redbull klappert leer im Mülleimer und die Kaffee-Flatrate für diesen Monat hat sich bereits vor mindestens einer Stunde gerechnet. Die ungewollten Bewegungen meiner Hände rufen ungewollt die Assoziation "Netzfrequenz" hervor und wenn ich einen Becher Sahne in die Hand nehmen würde, wär ich eine ernstzunehmende Konkurrenz für jedes handelsübliche Rührgerät. Oder simpel formuliert: Ich weiß jetzt, wie sich ein Koffeinschock anfühlt.

01 Uhr ungrad: Irgendwann wollen die Unmengen an Getränk auch wieder raus. Über dem Waschbecken auf der Toilette ein Spiegel. Ich denke mittlerweile schon in Codezeilen und $me != $spiegelbild. Das Monitorbild verschwimmt mir vor den Augen, aber die Worte meines Vorgesetzt ... mein eiserner Wille lässt mich durchhalten.

01 Uhr ungrad, aber ein bisschen später: Die Tasten des Keyboards sehen sehr bequem aus.

15 Uhr ungrad: Ein warmer Wind weht vom Meer heran, weißer Strand links und rechts von mir, ein kühler Drink in der Hand, das Wasser türkis und nur das Rauschen der Wellen und der leichte Wind der in den Palmen hinter mir spielt. Dann ein Scheppern, wie wenn jemand einen Sack auf eine Tischplatte fallen lässt.

WARNING: Variable $uhrzeit not defined: Wieder Tasten des Keyboards. Irgendwie sehr nah. Sehr, sehr, sehr nah. Kein Meer. Kein Drink. Kein Strand. Blöd. Dafür eine Hand deren Handfläche sich langsam rötlich verfärbte. Seltsam?!

02:43 Uhr: Der Kollege erklärt mir "höflich", dass das Schnarchen nicht wirklich gestört hat, aber das Piepen des Tastaturpuffers hat seinen Schönheitsschlaf gestört. Das Zittern in den Händen hat nachgelassen, ich wische mir die Speichelfetzen meines Kollegen aus dem Gesicht und mache mich wieder an die Arbeit.

04:46 Uhr: Ich muss das Keyboard ein Stück weiter in Richtung der Monitore schieben um Platz für die Augenringe zu schaffen. Koffein und Taurin haben um ungefähr drei Uhr aufgehört zu wirken. Ein Kollege äußert die These, dass eventuell Schokolade funktionieren könnte. Ich opfere mich selbstlos im Dienste der Wissenschaft und teste die These.

05:03 Uhr: Nö. Funktioniert nicht. Schmeckt aber gut.

06:11 Uhr: Ein letztes Mal speichern und es ist vollbracht. Mein Chef wird mir für diese Glanzleistung mindestens drei Tage Extraurlaub eine Gehaltserhöhung und einen Geschäftswagen geben. Okay, ich träume schon wieder ... sagte ich schon, dass die Tasten des Keyboards bequem aussehen?

15 Uhr: Strand - Sonne - Meer - undsoweiterundsofort. Eine junge Schönheit nähert sich mir, streckt ihre Hände nach mir aus und ...

FATAL ERROR: Function "aufwachen()" was called on a sleeping object. Noch fataler: Das andere Objekt, es war unser Ökodesigner (sorry, aber der erfüllt wirklich jedes Klischee in der Richtung) schaut mich vorwurfsvoll an und erklärt mir, dass es kein Wunder sei, dass ich so fertig aussehe bei der ganzen ungesunden Ernährung und deutet nicht minder vorwurfsvoll auf die leeren Redbull-Dosen im Mülleimer. Ich murmele etwas von "Kugelschreibern" und "schmerzhafter Tod". Keine Ahnung ob er es gehört und verstanden hat, aber er trollte sich ohne ein weiteres Wort in meine Richtung.

08:55 Uhr: Noch fünf Minuten bis zu der Präsentation. Mit einem Kaffee und drei Ladungen eiskaltem Wasser versuche ich mich wieder in etwas zu verwandeln, was mit viel gutem Willen und etwas Phantasie wieder als menschliches Wesen durchgeht.

09:01 Uhr: Eintreffen im Besprechungsraum. Vier Augenpaare schauen mich teilweise erwartungsvoll, teilweise verwirrt an. Scheinbar ist mir die Verwandlung doch nicht gelungen. Egal. Kurze Begrüßung, dann kanns losgehen. Der Mund unter einem der Augenpaare fängt an sich zu bewegen. Ich bemerke, dass die Latenz zwischen Hör- und Sehzentrum sehr hoch ist. Hatte der Ökofreak etwa doch recht und es liegt an der ungesunden Ernährung?! Sekunden später die Entwarnung: Es war nur ein herzhaftes Gähnen und entwaffnend lächelnd entschuldigt sich dieser: "Muss am wenigen Schlaf liegen.", höfliches Lachen im Raum, mich eingeschlossen.

09:03 Uhr: Ich darf die Präsentation der Kalkulationssoftware beginnen und rufe das Programm auf. Der Login-Bildschirm erscheint. Herzrasen. Wird alles funktionieren? Benutzername und Passwort eingeben. "Login" klicken. Meldung wegklicken. Ergonomische Keyboards verfluchen. Benutzername und Passwort erneut eingeben (dieses Mal mit Blick auf die Tastatur). Login klicken.

09:05 Uhr: Die zahlreichen Funktionen des Programms erklären, die auf der Benutzeroberfläche sichtbar sind. Frage in die Runde, welche Funktion ich vorstellen soll (und darf, immerhin habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen und lasse eine schöne Frau warten). Ich blicke erwartungsvoll in die Gesichter.

09:08:32 Uhr: Getuschel.
09:08:33 Uhr: Getuschel.
09:08:34 Uhr: Noch immer Getuschel.
...
09:08:39 Uhr: Noch immer Getuschel.
09:08:40 Uhr: "Nein, Sie brauchen uns nichts weiter zu zeigen, Herr Dream. Diese Demonstration hat uns schon gezeigt, wie umfangreich das Programm ist."
09:08:55 Uhr: STILLE. Ohrenbetäubende Stille. Nur das Rauschen des Bluts in meinen Ohren wird immer lauter. Ich fixiere einen Kugelschreiber auf dem Tisch. Ich höre auch ein Knirschen. Sind wahrscheinlich meine Backenzähne. Zwischen den zusammengebissenen Zähnen bringe ich ein "Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit" heraus und verlasse den Raum fluchtartig, bevor ich handgreiflich werde.

Für diese zwei bis drei Minuten Präsentation hätte es auch eine gut gestaltete Powerpoint-Präsentation getan. Der DAU ... ? Jetzt ratet mal und entschuldigt mich bitte. Es wartet ein traumhaft schöner Strand auf mich ...


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