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Manchmal kann ich hellsehen

Beitrag von GertL, am 02.02.2010
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Die folgende Story ist zwar ein wenig OT,
aber es kommen DAU und zumindest ein Navi drin vor.

Doch zuerst muss ich ein bisschen ausholen.

Von Radebeul in die Dresdner Heide führt der Augustusweg.

Der stammt aus dem Mittelalter (1624 erstmals erwähnt)
und war eine Hauptverkehrsader.
Oder was man halt damals darunter verstand:
Der größte Teil besteht heute aus Waldwegen,
auf denen sich zwei Autos nicht ausweichen könnten.

Doch auf Teilen des Wegs wurden später Straßen gebaut,
und jedesmal hat man den Namen beibehalten,
also gibt es heute, nicht weit voneinander entfernt,
drei verschiedene Straßen dieses Namens (in Dresden, Boxdorf und Radebeul),
die nicht direkt miteinander verbunden sind.

Es laufen aber viele Touristen gerne auf diesem Weg.
Erst geht es durch den Wald, ab und zu gibt es ein historisches Gasthaus,
im Radebeuler Teil schöne alte Villen zu sehen und die Aussicht über das Tal,
man kommt an der Schmalspurbahn raus, mit der man nach Moritzburg fahren kann.

So hat es mich auch nicht gewundert, als mich mitten im Wald eine Frau ansprach,
zumal es nicht weit von der Stelle war, wo der Weg die Autobahn kreuzt
und auf der anderen Seite schwer wiederzufinden ist,
und ich in der Gegend schon mehrmals danach gefragt wurde:

"Können sie mir helfen? Ich suche den Augustusweg?"

"Den haben sie schon gefunden. Sie stehen praktisch drauf."

"Das kann nicht sein!"

"Doch, das können sie mir glauben."

"Aber hier ist doch gar nichts. Sind sie sicher?"

Sie guckt schon so, als glaube sie, ich würde ich sie verarschen wollen.

"Richtig, außer der Autobahn da drüben gibt's hier nur Wald,
anderthalb Kilometer in jede Richtung.
Und ich wohne dort oben, ich kenn mich hier ein bisschen aus.
Das hier ist der Augustusweg."

"Oh, na dann muss die Straße falsch sein.
mein Navi hat auch gesagt, dass ich am Ziel bin."

Jetzt fällt mir auch auf, dass die Frau (reichliche 50) mit ihrem Kostümchen
und Schühchen und Parfümchen wohl nicht der Kategorie 'Wanderer' zuzuordnen ist.

"Ach so, sie sind mit dem Auto und suchen die STRASSE Augustusweg.
Welche denn?"

(Der erwähnte Gesichtsausdruck verstärkt sich etwas..)

"Wie, welche?!"

"Es gibt drei davon."

(..um noch eine Nuance)

"Das gibt's doch gar nicht!"

"Doch, ist so. <Kurzfassung des Erklärbären von oben>
Was haben sie denn ins Navi eingegeben?"

"Na Augustusweg."

"Ich meine: Welchen Ort? Dresden, Boxdorf oder Radebeul?"

"Äh, weiß ich nicht."

"Ich schlage vor, wir gehen mal zu ihrem Auto?"

"Äh, nein danke."

Wahrscheinlich dachte sie jetzt, ich will sie ausrauben..

"Wie sie wollen, aber ich muss eh in die Richtung."

"Warten Sie, ich komme!"

Auf dem Weg zum Auto (sie war tatsächlich fast einen Kilometer
in den Wald gelaufen, bevor sie gemerkt hat, dass was nicht stimmt),
ging's dann weiter:

"Haben sie denn eine Hausnummer eingegeben?"

"Nein, die kenne ich nicht."

"Wissen sie wenigstens, ob die hoch oder niedrig ist?"

"Nein, ich kenne die nicht! Wieso?"

(wieder dieser Blick: Will er mich verarschen?)

"Hätte helfen können. Über dreißig wäre sicher Radebeul,
die anderen Augustuswege sind nämlich ziemlich kurz."

"Aha, aber ich weiß die Nummer wirklich nicht."

(sie entspannt sich etwas)

"Wie sieht die Straße denn aus?"

"Weiß ich auch nicht, ich hier noch nie. Es ist ein Haus am Waldrand."

Auch nicht sehr aufschlussreich, bei soviel Wald steht fast jedes Haus am Waldrand.

"Wohin wollen sie denn eigentlich?"

"Hab ich doch gesagt, zum AU-GUS-TUS-WEG!"

Hält sie mich für blöd?

"Das ist ja schon klar. Ich meinte: Zu WEM?"

Ich gebe zu, die Frage ist etwas merkwürdig, als ob ich jeden hier kennen würde,
sie guckt wieder etwas böser.
Aber es war durchaus ernst gemeint,
denn hätte sie 'Firma Beutlhauser' oder 'das Hotel' oder 'die Schule'
oder etwas anderes Markantes genannt, hätte ich ihr sofort helfen können,
aber sie sagte:

"Zu meinem Schwiegervater."

So langsam glaube ich, dass DIE mich vergackeiern will.
Wo sind die versteckten KameraS?
Nee, für so einen lahmen Gag verwanzt doch keiner den ganzen Wald.
Oder will hier jemand testen, wie freundlich und hilfsbereit die Dresdner
zum Touri-Pack sind, auch wenn es sich noch so dämlich anstellt?

"Na das hilft nicht weiter. Aber können sie den denn nicht anrufen?"

"Nein das geht nicht!"

Warum sie jetzt böse guckt, bleibt vorerst ein Rätsel.

"Woher wissen sie denn eigentlich, wo sie hin müssen?"

"Das hat mein Mann mir geschrieben."

"Und wenn sie den mal anrufen?"

"Hab ich doch versucht, sein Handy ist aus."

"Und was hat er geschrieben?"

"Zeig ich ihnen."

Sie holt ihr Handy raus und zeigt mir eine SMS:

Ausfahrt Dresden-Wilder Mann
Navi -> Augustusweg
das erste große Haus links nach dem Wald
Bushaltestelle Schild
kannst du nicht übersehen


An der Stelle konnte ich mir dann endlich alles zusammenreimen.


Als wir dann an ihrem dicken Schwabenwagen angekommen waren:

"Alles klar, sie fahren diese Straße wieder zurück, nächste rechts,
an der Ampelkreuzung dann links,
und kurz danach nochmal rechts, da steht auch ein Wegweiser,
dann noch einen knappen Kilometer, und sie sind da."

Jetzt ist sie sich fast sicher, dass ich sie in die Irre führen will.

"Und das können sie aus der SMS sehen?!"

Ich musste noch einen draufsetzen, die Frau ging mir so langsam auf die Nerven.

"Sie können auch das Navi auf 'Radebeul, Augustusweg 101f' programmieren,
das bringt sie dann direkt zum Hospiz."

Jetzt weiß sie bestimmt, dass mich jemand angeheuert hat,
um ihr einen geschmacklosen Streich zu spielen.

"Wer hat ihnen gesagt, dass Vati im Hospiz ist?!!
War das der <irgendein Name, hab ich vergessen> ?!!!!"

Fast hätte ich gesagt: Manchmal kann ich hellsehen.

"Nein, den kenne ich gar nicht.
Aber ich kenne das Haus, mein Opa war auch dort.
Und ihr Mann ist wahrscheinlich schon da,
und geht nicht ans Handy, weil die dort das Geklingel nicht wollen.
Hätten sie gleich nach dem Hospiz gefragt, wäre es schneller gegangen."

Ich konnte mir noch verkneifen:
Aber wenigstens ist es ihnen peinlich, dass sie den Vati zum Sterben ins Heim abgeschoben haben..

(Nein, ich habe nichts gegen das Hospiz Radebeul, es ist eins der besten)

Die Frau war dann regelrecht erleichtert,
hat mich noch in ein Gespräch verwickelt über das Haus, meinen Opa, Gott und die Welt, ...
Die wollte wirklich nicht dorthin, manche Leute kommen mit dem Sterben halt nicht klar.
Zum Schluss hat sie mir noch einen Zwanni für meine Hilfe gegeben.




Ach ja, die DAU:

die Kartographen, die Waldwegteile des Augustuswegs so eingezeichnet haben (mit Beschriftung),
dass man denken könnte, es wäre eine Straße.

die Navi-Programmierer, die das einfach so übernommen haben, ohne sich darum zu kümmern,
ob da ein Auto langfahren kann

der Mann, der die tolle Wegbeschreibung geschickt hat

die Frau, die nicht sagen kann, wo sie hin will



Nur das Navi selbst hat sich völlig korrekt verhalten,
es hat sie von der Autobahnausfahrt aus direkt
zur nächsten Stelle gelotst, an der der Augustusweg eine Straße kreuzt.




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