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PC aus Pompeji

Beitrag von Psychatroniker, am 27.03.2009
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Ja, ich weiß, man sollte die ollen Kamellen vielleicht lieber bei den anderen Leichen im Keller gammeln lassen, aber diese Geschichte möchte ich der Allgemeinheit doch zukommen lassen:

Es begab sich zu einer Zeit, in der "PS/2" nicht nur mit einem Tastatur- oder Mausstecker in Verbindung gebracht wurde, sondern die aktuelle Rechnergeneration eines allseits bekannten IT-Großunternehmens darstellte. Diese beigen Kisten waren gar nicht mal so schlecht konstruiert (zumindest nachdem die erste Generation abgeraucht war und die neueren Modelle nachrückten)!
Jedenfalls arbeitete ich seinerzeit im IT-Support (damals noch anachronistisch "PC-Benutzerservice" getauft) einer regionalen Brandversicherungsanstalt und wurde eines sommerlichen Nachmittags von den Mädels unserer Telefonzentrale angerufen. Es handelte sich aber nicht um ein verirrtes Gespräch von Extern, sondern um ihren PC: "Der geht nicht mehr und klingt so seltsam!"

Dort angekommen diagnostizierte ich erst mal für mich, dass die Kleidung der sommerlichen Temperaturen angenehm angemessen war und begutachtete anschließend meinen neuen Patienten, ein damals bereits altes PS/2 Modell 55. Der klang wirklich recht ungewöhnlich, so ein seltsames schmatzend-schabendes Geräusch... Wie eine abgerauchte Platte hörte sich das nicht gerade an, mal abgesehen davon, dass von dieser außer einem gelegentlichen resignierten Klackern nix mehr zu hören war. Meine akustische Ortung erkannte alsbald das Netzteil (hinten rechts) als Schuldigen, während das Klackern der Festplatte vorn mittig erklang.
Als ich mich dann auf dem Gerät abstützte, um mich am Röhrenbildschirm (ein NEC MultiSync IIc) vorbei zu beugen, zuckte meine Hand spontan wieder zurück: "Boah ist der heiß!" Die Flosse war nicht verbrannt, aber die Temperatur des dicken Blechdeckels war eindeutig nicht mehr in den Spezifikationen des Herstellers. Und sehr seltsam: Der Deckel fühlte sich klebrig an! Hat da jemand Cola drüber gekippt? Im Nachhinein wäre mir diese Variante wesentlich lieber gewesen...
Alles klar, dann erst mal Netzstecker ziehen und dann Platz machen auf dem Tisch. Bildschirm beiseite, den vollen Aschenbecher irgendwohin, wo er mir nicht in die Nase stank und das restliche Geraffel schob ich auf einen Haufen. Es stank trotzdem noch immer verbrannt...

Dank der guten Konstruktion des Gehäuses musste ich nicht mal Werkzeug holen, sondern drehte die beiden dicken schwarzen klebrigen (!?) Schrauben auf, nahm schwungvoll den Deckel ab, hustete mehrfach kräftig bis sich der Nebel gelegt hatte und musste mich erst mal setzen. Es dauerte eine Weile, bis ich die gefühlte Bildstörung als Inhalt des Rechners wahrnahm! Wenn man mal einen Hamsterkäfig einen Monat lang nicht sauber gemacht hat, bekommt man vielleicht ungefähr eine Vorstellung, was ich hier zu sehen bekam: Von der Platine waren die Unebenheiten der Bauteile noch zu sehen, nur dass diese aussahen, als hätte sie ein Archäologe aus Pompeji gerettet, ohne sie von der Asche zu befreien. Die Asche war knapp einen Millimeter dick im ganzen Gehäuse verteilt, festgebrannt an allen Bauteilen, und hatte das Innenleben in ein einheitliches, stark hell-/dunkel gesprenkeltes Grau verwandelt - ungefähr so, als hätte man ein Standbild von einem Fernseher ohne Empfang gemacht und das Rauschen dann auf die Platine aufgeklebt.

OK, die thermische Leitfähigkeit von Asche ist jetzt sicher nicht die beste, aber das war nicht der Grund für den Hitzetod des Rechners. Das Netzteil sah aus, als hätte es einen Tumor!
Wie soll ich's beschreiben? Man stelle sich eine Tropfsteinhöhle vor, in der dicht an dicht Stalagmiten auf dem Boden stehen, im Laufe der Äonen immer länger und dicker werden, dichter zusammenwachsen und zu einem massiven Kalksteinblock verschmelzen. So ungefähr muss die Entwicklung der Ablagerungen an den Lufteinlassschlitzen des Netzteils gewesen sein, nur dass sich ekliger bräunlich-schwarzer Schmodder nicht von unten nach oben, sondern seitwärts entlang der Strömungsrichtung abgelagert hatte, bis die Schlitze fast zu waren. Und zwar stellenweise fast zwei Zentimeter dick! Wie der Lüfter im Inneren aussah, möchte ich gar nicht wissen... Bei 30° Außentemperatur nur eine Frage der Zeit, bis das Netzteil fiebrig aufgibt...

Mein Blick fiel auf den Aschenbecher - wenig überraschend nur Kippen drin, keine Asche - und seinen ursprünglichen Standort - direkt neben dem Lufteinlass des Rechners auf der linken vorderen Seite... Obwohl sie es standhaft leugneten, möchte ich wetten, die Damen haben es praktisch gefunden, den Ascher nur halb so oft entleeren zu müssen, wie vorher! Versteht sich von selbst, dass die Mädels jede Chance auf einen neuen Rechner verspielt hatten. Nachdem die Festplatte abgekühlt war und zu meinem Ärger wieder funktionierte konnte ich den Inhalt retten und stellte ich ihnen dasselbe Modell ohne Asche innen und klebrigen gelben Belag außen wieder an ihren alten Platz. Allerdings mit der Maßgabe, dass der Aschenbecher nie wieder in der Nähe des PCs gesichtet werden dürfe...

Mein Chef weigerte sich standhaft, das Gerät als Mahnmal für Brandschutzvorsorge in einer Glasvitrine im Eingangsbereich auszustellen, er hat persönlich die Gummihandschuhe angezogen und es entsorgt...


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